Samstag, 15. Juni 2013

Die Pariser und die Gesundheit

pharmacie Centre Mutualiste Réné Laborie, rue Palestro Paris 2ème
Foto : Régis G.
pharmacie Centre Mutualiste Réné Laborie, rue Palestro Paris 2ème
Foto : Régis G.

Ist das wirklich eine Apotheke ?

Ein Eisbär am Schaufenster? Ist dieses Geschäft wirklich eine Apotheke? Bernd, mein Gast aus Hamburg, hat über dieses Schaufenster sehr gestaunt.


Wir stehen vor der Apotheke "René Laborie"in der Rue Palestro (2. arrondissement). Wie jedes Jahr können die Passanten die Adventsdekoration bewundern :
Luxuriöse Parfümfläschchen und Eisbären aus Plusch.

In Hamburg, Dresden oder Stuttgart gibt es bestimmt keine Adventsdekoration dieser Art in den Apotheken.
Wie jeder weiss, Adventszeit ist Schnupfenzeit. Die Patienten sollen informiert werden.  In Hamburg, München oder in den kleinsten Städten hängen in den Schaufenstern grosse Tafeln. Diese Tafeln erklären, warum NASIVIN die beste Medizin gegen Schnupfen sein solle : NASIVIN schont die Abwehrkräfte, NASIVIN ist ein pflanzliches Mittel. Die grüne Farbe signalisiert : « Ich wirke, aber sanft ».

Ein ähnliches Medikament gegen Schnupfen gibt es auch bei uns, HUMEX. Ganz andere Farben : Blau, Rot, Weiss und Gelb. Rot signalisiert : »Ich bin stark, ich wirke schnell ». Die Kombination « blau, weiss, rot » erinnert auch an die Trikolore : ich bin also ein französisches Arzneimittel. Und ich wirke nicht nur tagsüber, sondern auch während der Nacht...
Aber HUMEX ist doch kein Ausstellungsobjekt! Im Schaufenster können Sie die Parfümflaschen und den Eisbären bewundern. Wenn Sie einen Schnupfen haben, brauchen Sie keine langen Erklärungen. Sie brauchen einen Fachmann. Sie treten in die Apotheke ein. Hinter der Ladentheke steht der Apotheker : er trägt einen weissen Kittel mit einem kleinen Äskulappstab am Revers. Als Autoritätsperson und Fachmann weiss er, was gut gegen Ihren Schnupfen ist. Der Apotheke holt eine Packung HUMEX aus dem Regal : « Das ist das Richtige für Sie ». Wer käme da auf die Idee, weitere Fragen zu stellen ? Die Packung wird gekauft. Sie verlassen die Apotheke und freuen sich, so einen kompetenten Apotheker getroffen zu haben...

Unvorstellbar in Deutschland.  In den deutschen Apotheken gibt der Apotheker lange Erklärungen, manchmal wird er vom Kunden widersprochen. Es kann sogar vorkommen, dass ein Rezept des Arztes besprochen und kritisiert wird. Wenn der Patient nach diesen langen Fachgespräche seine Packung gegen Schnupfen das Geschäft verlässt, kann er noch einen Blick in die Schaufenster werfen : sie sind voll von Plakaten und Tafeln, die alle möglichen technischen Informationen vermitteln.
In Paris braucht der Patient diese Informationen nicht.
Dort ist das Vertrauen in die Macht der modernen Medizin ungebrochen. Übrigens eine Übersetzung für das Wort «Schulmedizin» gibt es nicht. Dafür wird ziemlich argwöhnisch von den «Médecines parallèles» (Parallelmedizinen) gesprochen. der Patient erwartet vom Arzt, dass er als selbstsichere technische Fachperson auftritt. Das schafft Vertrauen. Und vom Apotheker erwartet der Patient dasselbe Auftreten. Er braucht keine Erklärungstafel im Schaufenster : der Apotheker weiss Bescheid und der Patient hat Vertrauen. Sein Arzt und der Apotheker der Rue Palestro im 2. Arrondissement sind für seine Gesundheit zuständig. Also kann sich der Patient über den Eisbären und die Parfümfläschchen am Schaufenster freuen.